Bildmontage: Hendrik Heidler; Foto: User-Kolossos / CC BY-SA (http-//creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/); Grafik: Tobias Heidler

Wie Phil Menschen von Unmenschen unterschied

Eine Beulentiegelei

geschrieben am 06.10.2020 von Hendrik Heidler, Scheibenberg

Ein Vor-Wort zu Phil Beulentiegel

Kann eine Welt wirklich so verrückt sein, dass sie allen als normal erscheint? Und, kann es sein, dass erst ein vermeintlich einfältiger Typ diese Verrücktheiten sichtbar machen kann? Dann ergibt sich die dritte Frage: Wer ist eigentlich verrückt?
Ist es Phil – oder sind es diejenigen, denen er unbeabsichtigt den gutpolierten Tiegel vor die Nase kracht, wenn er macht, was er für richtig hält – weil er glaubt, was gesagt wird?
Ihm geht es wie so vielen anderen, er will nur das Beste, aber die alltäglichen Gegebenheiten machen ganz was anderes draus. Es ist aber auch verrückt, wie unsichtbar das vor unser aller Augen Liegende sein kann. Eine Beulentiegelei:

 

Wie Phil Menschen von Unmenschen unterschied

Eine Beulentiegelei von Hendrik Heidler

Phil staunte. An diesem Morgen der Ruhe. Hin und wider gestört von einigen dröhnenden Fahrzeugen. Von Menschen keine Spur. Phil laß einen Aushang der städtischen Anschlagtafel. Gleich zu Anfang entdeckte Phil, was ihn so staunen ließ. Außerdem brauchte er eine Weile, ehe er seinen offen stehenden Mund wieder zuklappte, um ihn gleich darauf wieder zu öffnen. Er musste sich selbst laut vorlesen, was da stand, um zu glauben, was es hieß. Also hörte er dem zu, was er hörte: 

„Allgemeinverfügung – 1. Öffentliche und nichtöffentliche Veranstaltungen sowie sonstige Ansammlungen, bei denen es zu einer Begegnung von Menschen kommt, sowie Versammlungen unabhängig von der Zahl der Teilnehmenden sind untersagt.“

„Hörst Du das?“, fragte sich Phil, was er nicht leugnen konnte. Er überlegte, wie das zu verstehen sei: Versammlungen seien verboten, bei denen Menschen zusammen kommen. Können Autos zusammen kommen? Davon hatte er noch nichts gehört. Vielleicht automatische? Aber, überlegte Phil weiter, was haben die sich schon zu sagen. „Hm“, kratzte er sich ans Kinn. Eine vertrackte Sache. Plötzlich sprühte er Funken, als ihm dämmerte. Einige sengten ihn kleine Löchlein in sein Hemd, so wie Wunderkerzen es können. Er kümmerte sich nicht darum. Er hatte begriffen, was da eigentlich gemeint war, in dieser Verordnung, was er sogleich laut aussprach: „Unmenschen, Unmenschen dürfen sich versammeln!“ Anfangs, freilich nur kurz, freute ihn seine Erkenntnis, bis ihm klar wurde, was das hieß. Abwechselnd wurde ihm warm und kalt, erinnerte er sich jetzt seiner weisen Oma, die häufig mit erhobener Stimme zu Klein-Phil sagte: „Pass auf die Unmenschen auf, mein Junge, das sind die die Dir Dein Spielzeugauto wegnehmen und Dir weismachen, das sei das Beste für Dich.“ Phil lernte recht schnell, was sie damit meinte. Aber nicht so schnell als dass er auch nur noch ein Spielzeug besaß. „Das ist gemein“, schimpfte Phil laut und wischte das Bild seiner leeren Spielzeugkiste beiseite. Das würde er denen nicht noch einmal erlauben! Und als guter Mensch wollte er auch andere, vor allem Kinder vor der Unmenschen Gemeinheit bewahren. „Da haben sich diese Unmenschen aber einen raffinierten Trick einfallen lassen. Sie lassen Menschen nicht zusammen kommen und dann schleichen sie sich auf die Spielplätze und klauen das Spielzeug.“

Damit ihm ja nichts entgehe, setzte er sich eine Brille auf die Nase und suchte, ob er nicht entdecke, wer diese Unmenschen seien. Er wurde schnell fündig, stand doch gleich darunter ganz klar geschrieben:

Ausgenommen sind:

a) Veranstaltungen der Sächsischen Staatsregierung, der Ministerien des Freistaats Sachsen, des Sächsischen Verfassungsgerichtshofs, der Gerichte und der Staatsanwaltschaften des Freistaats Sachsen, der Behörden des Freistaats Sachsen, anderer Hoheitsträger (insbesondere Behörden des Bundes) sowie anderer Stellen oder Einrichtungen, die öffentlich-rechtliche Aufgaben wahrnehmen.“

„Aha!“, sagte Phil, „denen werd' ich's zeigen.“ Woraufhin Phil seine Brille von der Nase nahm, zur Bushaltestelle lief, um sich aufzumachen, den Unmenschen ihr Handwerk zu legen. Ob ihm das gelang, können wir noch nicht sagen, dazu verging erst zu wenig Zeit. Was wir aber mit Sicherheit berichten können, sei Ihnen nicht vorenthalten.

Phil erreichte die Sächsische Staatsregierung, also das Gebäude, in dem sie sich verschanzt hatte. Davor wachten seltsame Gestalten, in weißen Hüllen, die Gesichter ganz vermummt. Soso, dachte Phil, schon hier die ersten. Das Phil so schnell auf Unmenschen stoßen würde, hatte er gar nicht zu hoffen gewagt. Freundlich lief er auf sie zu und sprach: „Ich lade Sie ein zu einer öffentlichen und nichtöffentlichen Versammlung.“

Beide Gestalten blickten sich stumm an, ehe eine kurz und zackig brüllte: „Verboten!“

„Iwo“, entgegnete Phil, „das Verbot gilt nur für Menschen.“

Erneut blickten sich die Vermummten an und erneut die zackige Stimme: „Sind wir!“

„Aber nein“, tröstete Phil, „sind sie nicht!“

Woraufhin sich die Haltung der beiden irgendwie veränderte. War es Unruhe? Fühlten sie sich beleidigt? Phil bemerkte es schon, konnte es aber nicht einordnen. Also entschied er, es als Bescheidenheit zu deuten. Also versuchte er erneut, diese davon zu überzeugen, Unmenschen zu sein.

„Hier“, sagte Phil und tippte auf die Allgemeinverfügung, die er von der Anschlagtafel abgenommen hatte, „hier steht's anders. – Oder gehören Sie nicht zur Sächsischen Staatsregierung?“

Beide nickten heftig und sagten zu gleich: „Doch, doch.“

„Na also“, fuhr Phil erleichtert fort, „doch Unmenschen!“

Beide schüttelten verneinend den Kopf.

Phil meinte ungehalten: „Wie denn nun?“

„Menschen“, sprachen beide, zackig, „und ...“ weiter kamen sie nicht, weil Phil sie unterbrach: „Dann dürfen Sie hier nicht stehen.“

„Doch“, kam es wieder aus der beiden, unsichtbaren Münder, „hier ist die Staatsregierung!“

„Sag ich doch“, brüllte Phil nun echt genervt und fügte hinzu: „Unmenschen also, nur Unmenschen dürfen sich versammeln.“

„Nein, nein“, erhoben nun ihrerseits Beide die Stimmen, „Menschen.“

Das war genug für Phil. Er verlor die Geduld, kramte in seiner Tasche und schnäuzte sich gewaltig in ein Taschentuch, was einst andere, hellere Tage erlebt haben mochte. Anschließend schüttelte er es heftig aus. Nachdem er es sorgfältig zusammen gelegt hatte und zurück in die Hosentasche gestopft, wandte er sich erneut zu diesen beiden Gestalten zu. Doch umsonst, sie waren verschwunden. Na also, dachte Phil, doch Menschen und recht brave dazu. Weshalb sonst hätten sie die Versammlung aufgelöst?

Mit diesen Gedanken öffnete er die schwere Tür der Staatsregierung und trat ein ...

 

Hendrik Heidler©, Scheibenberg, 19. März 2020

 

 

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