Exklusiv-Interview mit Corona!
„Eine Eulenspiegelei?“ mit Phil Beulentiegel
geschrieben am 19.08.2020 von Hendrik Heidler, Scheibenberg
Ein Vor-Wort zu Phil Beulentiegel
Kann eine Welt wirklich so verrückt sein, dass sie allen als normal erscheint? Und, kann es sein, dass erst ein vermeintlich einfältiger Typ diese Verrücktheiten sichtbar machen kann? Dann ergibt sich die dritte Frage: Wer ist eigentlich verrückt?
Ist es Phil – oder sind es diejenigen, denen er unbeabsichtigt den gutpolierten Tiegel vor die Nase kracht, wenn er macht, was er für richtig hält – weil er glaubt, was gesagt wird?
Ihm geht es wie so vielen anderen, er will nur das Beste, aber die alltäglichen Gegebenheiten machen ganz was anderes draus. Es ist aber auch verrückt, wie unsichtbar das vor unser aller Augen Liegende sein kann.
Und damit wir es sehen, kam Phil Beulentiegel auf die Welt. Lesen Sie nun das
Exklusiv-Interview mit Corona!, geführt von Phil Beulentiegel
Phil liebte seine Oma über alles. So wundert es nicht, dass Phil ihre Weisheiten unerschütterlich für wahr hielt. Da gab es nichts zu wackeln. Einer ihrer Lieblingssprüche lautete: Lieber hundertmal reden als einmal schießen. Das Phils Opa da ganz anderer Meinung war, tut hier nichts zur Sache. Jedenfalls wunderte sich Phil eines abends über die Nachrichten: Ein unsichtbarer Feind sei unterwegs, es herrsche Krieg gegen ihn und er rücke immer näher.
Phil trat der Schweiß auf die Stirn. Langsam, im Schneckentempo, spreizte Phil seine Beine. Langsam senkte er seinen Oberkörper nach vorn und blickte zwischen seine Beine hindurch unters Sofa. Nichts! Die Nachricht stimmte. Erleichtert atmete Phil tief ein. Und da hatte er schon gedacht, dieser feine Mensch in Paris, dieser Präsident hätte ihn angelogen. Der Feind war tatsächlich unsichtbar. Sonst hätte Phil ihn unterm Sofa gefunden.
Phil wollte sich gerade entspannt zurücklehnen, als ihn ein neuer Gedanke ins Schwitzen brachte. Was aber, so dachte Phil, wenn auf diesen unsichtbaren Feind geschossen wird, einfach so ins Unsichtbare hinein? Wenn das daneben geht, kann das doch glatt ins Auge gehen, in das eines Freundes vom unsichtbaren Feind. Denn auch Feinde, das wusste Phil genau, haben Freunde. Und Freunden darf man doch nichts antun. Fieberhaft grübelte Phil, bis er sich an Omas Spruch erinnerte, sich lieber zu unterhalten. Also legte sich Phil auf den Fußboden und begann zu sprechen.
„Du, Du unsichtbarer Feind, ich habe gar nichts gegen Dich!“
Schweigen. Aber Phil gab nicht auf. Unsichtbare Feinde waren sicherlich auch unhörbar. Und weil Phil ein Lieblingsbuch hatte, eins über einen kleinen Prinzen, wusste er, dass man mit dem Herzen neben dem Sehen auch besser hören konnte. Ganz klar. Phil legte seine Hand aufs Herz und sprach erneut:
„Wie heißt Du eigentlich?“ Und das Wunder geschah, Phil hörte ihn, den unsichtbaren, unhörbaren, ganz unmöglichen Feind.
„Corona“, antwortete der unsichtbare Feind.
„Was für schöner Name, Krone!“, entgegnete Phil.
Der unsichtbare Feind seufzte, was Phil als schwermütigen Gemütszustand begriff. So hatte seine Urgroßmutter mütterlicherseits geseufzt.
„Dir geht es nicht gut?“, fragte Phil mitfühlend, die Sache mit dem unsichtbaren Feind gleich völlig vergessend.
„Ach“, antwortete der, „Du bist ja der erste, der mit mir spricht. Alle andern schießen gleich.“
Phil war entsetzt und empörte sich: „Aber meine Oma ...“ wurde jedoch vom unsichtbaren Feind unterbrochen:
„Deine Oma ist eine weise Frau. Darum ist sie auch so alt und gesund, weil sie spricht und mich meine Leben leben lässt.“
„Hä?“, fragte Phil, der grad gar nichts verstand.
Woraufhin der Unsichtbare erklärte: „Ist doch ganz einfach, wer gern Leuten begegnet, hält mich am Leben und hilft mir, meine Aufgabe zu erfüllen.“
Nun war Phil total von der Rolle. Er schrie: „Du elende menschenvernichtende Seuche, Du Mörder, Du, Du unsichtbarer, näherrückender Feind, Du, Du …!“
Der Unsichtbare schwieg. Phil beruhigte sich nach und nach, bis er sich an sein Herz erinnerte und nur damit gut hören könne. Stotternd fragte er kleinlaut: „Wie meinst Du das?“ Womit Phil das tat, was ihm seine Oma lehrte und, was jeder tun sollte, ehe er schießt. Darum vernahm er auch wieder den unsichtbaren Feind: „Euch gesund erhalten!“
„Da brat mir doch einen Storch!“, platzte Phil heraus. Eine Redewendung, die er kürzlich erst bei seiner Lektüre des köstlichen Baron von Münchhausen aufgeschnappt hatte.
„Das muss nicht gleich sein, denke an die Vogelgrippe“, erinnerte ihn der Feind augenzwinkernd, wie Phil vermeinte, wahrzunehmen. Nach einer kurzen Pause fuhr der Unsichtbare fort: „Weißt Du, wenn Du mich und meine unsichtbaren Verwandten einfach nur machen lässt, dann kannst Du wie alle Menschen mit dem Leben Schritt halten.“
Phil zog eine Augenbraue hoch und fragte: „Hat das Leben Beine?“
Der Unsichtbare schmunzelte ohne auf die Frage einzugehen und erklärte weiter: „Ich und meinesgleichen sind Verwandlungskünstler. Uns ist einfach langweilig, immer nur im gleichen Kostüm herumzuschwirren. Das weiß eigentlich jedes Kind, also jeder Körper, meine ich.“
Jetzt staunte Phil ehrlichen Herzens. Außerdem, pfiffig wie er auch sein konnte, meinte er: „Dann habe ich gar keine Chance gesund zu bleiben. Du ziehst Dir ein anderes Hemd an und schwups sterbe ich, weil ich Dich übersehe.“ Phil machte eine begreifende Geste. „Ah, jetzt hab ich's, darum nennt Euch der feine Präsident 'unsichtbar'“.
Aufgeregt entgegnete der unsichtbare Feind, auf Phils Sprechweise eingehend: „Nein, nein, so ist das nicht. Der unsichtbare Feind ist nur im Kopf dieses feinen Mannes, der viel Raum für solche Feinde bietet. Schließlich ist er Präsident und Präsidenten haben immer die größten Köpfe.“
„Was, nur die Männer? Unser aller Kanzlerin doch auch!“, schimpfte Phil und ergänzte: „Du also auch, ein Frauenhasser!“
„Freilich, auch sie“, bestätigte der Unsichtbare nachsichtig. Dann erklärte er: „Ihr, ich meine Euer Körper kennt sich damit aus, dass wir uns gern neu anziehen. Zwar schläft er manchmal ein bisschen und ist müde oder auch schwach, dann bemerkt er uns nicht gleich und wird etwas krank. Das ist fast wie ein Versteckspiel, was wir da gemeinsam treiben. Mal sind wir die besseren Verkleider, mal Ihr die schärferen Entdecker.“
Phil staunte und bettelte: „Auch fein, darf ich da mitmachen?“
„Machst Du doch längst … und Deine Oma auch!“, bestätigte der Virus.
„Hä?“, räusperte sich Phil.
„Darum warst Du noch nie wirklich gefährlich krank!“
„Warum?“, begehrte Phil zu wissen.
„Begreifst Du es immer noch nicht? Viele schwächere Krankheiten durchzumachen, hilft zumeist schlimmere zu vermeiden. Das ist doch das Spiel, was wir beide brauchen. Und das klappt nur, wenn Du und alle Menschen zueinander kommt, Euch begegnet, anstatt so Einzeln zu leben und einsam zu sein und lieber liebevoll Bildschirme streichelt, wie Ihr es seit langem seid und tut.“
„Du lügst“, polterte Phil, „ich nicht!“
„Sag ich doch!“
Phil beruhigte sich, woraufhin ihm dämmerte: „Dann, ja, dann liegt der feine Mann ganz falsch und auch die gute Frau in der Hauptstadt?“
„Klar“, bestätigte der Unsichtbare, „Ihr müsst zueinander finden und mich und meinesgleichen ohne Unterlass zwischen Euch auf Tröpfchen hin und her hüpfen lassen. Das macht uns Spaß und hält Euch lebendig.“
„Wie Münchhausen auf der Kanonenkugel“, freute sich Phil, „und unser Körper vergisst nicht, dass Ihr Euch für Euer Leben gern verkleidet!“
„Genau! Jetzt hast Du's.“
„Aber“, meinte Phil, „dann bist Du gar kein unsichtbarer Feind?“
„Unsichtbar schon, aber kein Feind! Ich werde nur gefährlich dort, wo Menschen nicht mehr zusammenkommen, einsam sind und das oft viele Jahre, wenn nicht ein Leben lang! Sie vergessen, dass wir uns verändern und sie nur gesund bleiben, wenn sie sich selbst durch uns verändern ...“
„... also lebendig bleiben.“, brachte Phil den Satz zu Ende.
„Ja, Menschen können Einzeln nicht, sie werden krank davon. Wir sind an Euren Händen und Eurer Spucke genau so unverzichtbar, wie meine Verwandten in Euren Därmen.“ Der Unsichtbare machte eine Pause, um zu überlegen. „Aber die bekriegt und mordet Ihr ja auch schon seit langem, kein Wunder, wenn ich mit meiner schönen Krone manchen von Euch gefährlich werden kann.“
„Da bist Du also ein Geschenk des Himmels?“, seufzte Phil traurig, „dem jetzt so schlimm mitgespielt wird.“
„Keine Bange“, meinte der Kronenvirus, „wir halten länger durch!“
„Gott sei dank!“, sprach Phil erleichtert und hob seinen Kopf samt Oberkörper, um sich erschöpft und doch zufrieden aufs Sofa zu setzen. Dort vernahm er recht leise noch einmal die Stimme des unsichtbaren Freundes, wie er ihn jetzt im Stillen nannte. Sie sagte:
„Eins macht mich doch traurig. Wenn wir Unsichtbaren unser Werk trotz aller Widerstände und Waffengewalt gegen uns für Euer Wohlergehen getan haben, werden genau diejenigen sagen, die diesen Krieg führen, recht behalten, den unsichtbaren Feind wirksam nieder gerungen zu haben. Ich meine, uns ist das eigentlich gleich, aber auch wir haben ein Herz. Darum schmerzt es uns, wie aufwändig Ihr Menschen alles unternehmt, Euch immer kranker und immer blinder für unseren lebenswichtigen Kleiderwechsel zu machen. Wollt Ihr lebendig bleiben, müsst Ihr zusammenfinden, sonst verliert Ihr Euer Menschsein.“
Dann herrschte Schweigen.
Phil hockte da, still, staunend und etwas weiser. „Sie werden mich für einen Narren halten, Einen Eulenspiegel“, murmelte Phil betrübt, „womöglich werden sie mich bestrafen, sogar einsperren, weil ich angeblich Fäk njus verbreite.“
Nachdenkpause.
„Und sie werden jeden Einzelnen noch mehr vereinzeln, dafür Applaus ernten und dabei mit schiefem Lächeln Husten.“
Nachdenkpause.
„Und schließlich sagen: ganz für Euer Wohlergehen ist es das beste, wir bringen uns alle um, dann besteht keine Gefahr mehr, an unsichtbaren Feinden zu sterben.“
Woraufhin Phil begann zu weinen. Er beweinte nicht sich, aber er beweinte all die fröhlichen Kinder, all die einsamen Alten, er beweinte die frisch verliebten und er beweinte die Mütter und Väter und überhaupt sogar die, wie den feinen Mann im Nachbarland und die gute Mutti in der Hauptstadt, wegen des wichtigsten, was Menschen haben, die Lust auf Gemeinschaft, die Liebe zueinander.
„Danke, Du gekrönter König, Du mein unsichtbarer Freund, für Deinen Rat und Deine Menschlichkeit. Ich werde es weitersagen, auch wenn man mich für einen Narren hält.“
PS:
In diesem Augenblick war Phil womöglich der am wenigsten närrische Mensch unter so vielen Narren.
Hendrik Heidler©, Scheibenberg, geschrieben am 19. März 2020, veröffentlicht am 24. August 2020
----> Weitere Eulenspiegeleien im Buch Phil Beulentiegel