Allem was lebt, gebührt Respekt – Fotografiert von Hendrik Heidler

Der liebe Frieden und der eigne Arsch

geschrieben am 25.09.2018 von Hendrik Heidler, Scheibenberg

von Hendrik Heidler

Mir scheint, wer sich mit dem Thema „Heilen“ beschäftigt, wird früher oder später an die Frage herangeführt, welchen Einfluss das allgemein verbreitete Selbstverständnis der Menschen, auf Gesund- bzw. Kranksein hat. Kurz gesagt: ob man von den Mächten des Schicksals, von Gottes Strafen, von absolut individueller Verantwortung oder gar Schuld ausgeht oder ob auch die breite Akzeptanz allgemeiner, gesellschaftlicher Grundlagen darauf Einfluss nimmt.

Letzteres halte ich für unbedingt nötig, wenn ganzheitliches Heilsein angestrebt wird.
Ob Zufall oder nicht, beschäftige ich mich derzeit mit der Frage, wie es in der europäischen und speziell in der deutschen Geschichte dazu kommen konnte, dass Menschenleben nur noch einen Dreck Wert waren, warum die Anderen vernichtet werden durften, weil man sich selbst als besser und höherstehend zurecht phantasierte. Auf eine, mich zutiefst erschütternde Antwort stieß ich in einer wunderbar klaren, historischen Abhandlung von Nicholas Stargardt. Darin wird schlüssig nachgewiesen, dass es bei weitem nicht die Verführungskünste der Nazis allein waren, die zu den völkermörderischen Konsequenzen führten, sondern vielmehr noch die alltägliche Akzeptanz, besser als die elenden Juden, Slawen usw. zu sein. Schlicht gesagt war es üblich, andere Menschen für alle möglichen Folgen des kapitalistischen Systems schuldig zu sprechen, die etwas anders warens als die breite Masse. Die übliche Verdrehung von Ursache und Wirkung. Auf Geburtstagen, an Familienabenden, in Vereinen, schlicht überall im Alltag wurden diese rassistischen Plattheiten als Gewissheit ausgesprochen und diejenigen, die anderer Meinung waren ausgegrenzt, belächelt, verprügelt und später halt als selber Schuld umgebracht. Das erschüttert mich in seiner Banalität noch im Nachhinein. Gerade deshalb erschrickt mich, wie alltäglich dieser alltägliche Umstand auch heute noch greift und wieder zunimmt. Erst diese Tage bei einem Geburtstag war von „Zecken“ die Rede und an anderer Stelle von dreckigen Kanaken. Wohl gemerkt, es geht bei ersteren nicht um die hausgemachte Insektenplage sondern um Menschen linker Anschauung. Der Wahnsinn hat Methode und ist altbekannt, um die eigene Erbärmlichkeit zu verbergen: entmenschliche die Anderen, dann darfst du sie auch schamlos ausgrenzen oder gar umbringen.
Woher nehmen nur so viele diese unglaubliche Gewissheit, selbst wertvoller zu sein als andere? Was haben sie denn selbst dazu getan, dass sie hier als Deutsche, Westeuropäer, US-Amerikaner geboren wurden? Nichts! Es sei denn, sie reden sich eine angebliche Parteilichkeit Gottes ein.

Umso mehr amüsiert mich die Ernsthaftigkeit, mit der strengen Blickes die deutsche Geburt als eigene Leistung konstruiert wird. Was für Angeberei für etwas, wozu man nichts eigenes beitragen konnte.
Deutsche Erdbeeren für Deutsche Würstchen. Na dann, wohl bekomm's mit der Deutschen Scheiße, die wohl demzufolge auch besser stinkt wie afrikanische oder arabische Ausscheidungen.
Ach ja, und komme man nicht mit dem deutschen Wohlstand als reines Ergebnis deutscher Hände Arbeit. Die geschichtlichen Fakten dafür sprechen bis heute eine andere Sprache.

Als Heiler gehe ich natürlich selbstverständlich davon aus, dass jeder Mensch einzigartig ist, JEDER! Was aber nichts mit besser oder schlechter zu tun hat, sondern mit anders sein. Worüber ich nur staunen kann: weit über 7 Milliarden Menschen und jeder ist anders, einzigartig. Was für Schöpferkraft muss dieser Welt zugrundeliegen und welcher Reichtum. Und was für Dummheit, die davon ausgeht, es gäbe nicht genug für all diese Menschen.
Überraschenderweise kommt eklige Sendungsbewusstheit, dieser eklige Auserwähltheitsglauben nicht hauptsächlich von den so genannten rechten Rändern der Gesellschaft, sondern quillt gerade aus der gesellschaftlichen Mitte hervor. Genauso wie damals bei den Nazis. Alles anderes ist eine weitere geschichtliche Verfälschung. Gerade die, die übermehr als genug an Wohlstand verfügen, offenbaren sich meistens als die schlimmsten Propagandisten gegenüber den Verlierern des so genannten Mainstreams. Und leider zählen dazu auch viele Heiler. Gerade diejenigen, die es besser wissen müssten.
Der eigene, westliche Wohlstand, die eigene westliche Weltmarktführerschaft wird von denjenigen als bedroht erlebt, die Opfer dieser Erfolge wurden. Eine erstaunliche Selbsttäuschungsleistung, die dazu führt, im geheimen aufzurüsten, um dann wieder einmal rein Schiff zu machen. Freilich heißt es dann menschenverachtend: „Leider muss erst der Zusammenbruch kommen, was wir ja nicht wollen, aber dann wird die Spreu vom Weizen getrennt … und da wir, wie wir mit unserem esoterischen Bewusstsein weiter sind, werden überleben … von Gott auserwählt oder vom Weltgeist und deshalb dürfen wir das mit dem automatischen Sturmgewehr auch durchsetzen.“ Nicht anders als damals, als beispielsweise die Deutschen Wehrmachtssoldaten verwundert erlebten, dass die Polen ihnen mit Hass begegneten anstatt mit Jubel. Was wiederum als Grund angesehen wurde, diese undankbaren Untermenschen niederzumähen. Die Wirkung wird zur Ursache gemacht.

Und so frage ich mich, ob das denn nie aufhört, andere für die eigenen Verantwortlichkeiten schuldig zu sprechen und notfalls umzubringen? Um den lieben Frieden willen, wird von den Andersdenkenden auf Geburtstagen usw. geschwiegen. Sie wissen genau, dass sie damit (zwar schuldlos) den Geburtstag und den Familienzusammenhalt sprengen würden. Das wollen sie nicht. Aber die hetzende Mehrheit weiß auch um deren Bedenken und so grölt und johlt sie weiter, in der Gewissheit, damit durchzukommen und im Recht der Masse zu sein.

… und danach, wenn es wieder schiefgeht, wie nicht anders zu erwarten, hat wieder keiner etwas gewusst und gewollt. Wieder sind die braven Täter die armen Opfer, weil die wirklichen Opfer längst geopfert wurden.

Hendrik Heidler, 11. September 2018

PS:

Ich staune wirklich darüber, dass sich immer noch über Politik Gedanken gemacht wird. In steter Wiederholung haben mal die Linken die Lösung und dann wieder die Rechten und dann kommt die Mitte mit pfiffigen Ideen und dann klappt das auch mal wieder nicht und schwups schwören wieder alle auf die Rechten und dann auf die Konservativen und wenn alles nichts hilft, müssen die Superrechten ran, mal wieder aufräumen und danach waren sowieso wieder alle nur arme Opfer und die wirklichen Opfer waren ja selber Schuld … hätten sie bloß mal keine Kreide gefressen, dann hätten wir sie doch bestimmt in Ruhe gelassen. Wirklich wahr!
Denn wir haben doch gar nichts gegen die anderen ABER …

Dass die ganze akzeptierte Lebensweise der Grund sein könnte, darauf will keiner kommen … Hauptsache der eigene Arsch ist schön warm und gesichert. Was Beweis ist, dass diese, auf Konkurrenz und Verwertung beruhende Lebensweise der eigentliche Grund ist. Aber die, nein, die ist ja so schön demokratisch und zuckersüß zu kaufen ...

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