Die wilde, unberechenbare Libelle – fotografiert von Hendrik Heidler©

Ungehorsam, und die Folgen seiner Verweigerung

Gedankensplitter zu einem verpönten Verhalten

geschrieben am 16.10.2017 von Hendrik Heidler, Scheibenberg

Behauptung vorab: „Wir können nur heil werden, wenn wir ungehorsam sind.

„Sei artig!“ Vielleicht beschreiben Historiker dereinst unsere Epoche als die, der blinden Artigkeit. Wer weiß? Jedenfalls scheint mir der automatisch vollzogene Gehorsam gegenüber den geschichtlich geschaffenen Eckdaten der „modernen“ Lebensweise überhaupt nicht mehr wahrgenommen zu werden, ja, im Gegenteil als Freiheit verklärt zu sein ... und dass daraus auch viele Krankheiten entstehen, auch nicht.

Falsch?

Nun denn, nur drei Stichpunkte:

  • Freie Arbeitsplatzwahl?
    Vielleicht! Aber das sich der Mensch für existenzsichernden Lohn auf einem Arbeitsmarkt prostituieren muss, wird gedankenlos nicht nur vollzogen, sondern gar als menschlich idealisiert.
    Von Freiheit keine Spur!

     
  • Freie Wahlen?
    Hm! Ich sehe weder auf den Wahlzetteln die Wahlmöglichkeit, Unternehmen mitzubestimmen, Einfluss auf die Medien zu nehmen und schon gar nicht die Möglichkeit, Konkurrenz und die durch Lohnarbeit vollzogene Lebensverwertung abwählen zu können.
    Von Freiheit keine Spur!

     
  • Chancengleichheit?
    Wie jeder weiß, gibt es eine solche in unserer aktuellen Lebensweise nicht, so sehr das mitunter auch geleugnet werden mag. Siehe Frauenentlohnung, siehe Bildung, siehe Gesundheitswesen, siehe Rechtsprechung, siehe Unternehmensgründung usw. Überall hängt das von sozialer Herkunft, Geldbeutel, Beziehungen, Mitgliedschaften und vielem anderen ab.
    Von Freiheit keine Spur!

Aber viele, viele rennen wie die Lemminge in Unternehmen, Arbeitsämter und Wahlbüros, meckern kräftig (wenn es niemand hört) und beschimpfen Politiker (sicherlich manchmal zurecht). Letzteres häufig nur, weil sie neidvoll glauben, zu kurz gekommen zu sein. Übrigens, es ist kein Ungehorsam, anderen Menschen eins auf die Rübe zu geben, weil diese z B. dunkelhäutig sind. Das ist höchste Anpassung an die vergötterte Konkurrenz. Wirklicher Ungehorsam gegenüber den Zumutungen einer Lebensweise, welche Selbstverwertung und Siegermentalität erfordert? Fehlanzeige!

Selbst Jungendliche, deren altersbedingtes Vorrecht es doch wäre, zu rebellieren, kaufen sich höchstens löchrige Edellumpen oder glauben obercool zu sein, wenn sie mit grausamen Bildern auf Haut und Handys durch die Gegend laufen. Rebellion? Und manche finden sich gar obercoolrebellischer, wenn sie sich ihre Zunge chirurgisch spalten lassen.

„Ach“, möchte ich ihnen zurufen, „Ihr seid die Gehorsamsten von allen.“

Aber wehe, da weigert sich ein Harz-4-ler einen Job anzunehmen, weil er darin keine Chance sehen kann, sein einzigartig einmaliges Leben nicht nur für Lohn zu verwursteln? Dann werden ihm rucki zucki die edlen Menschenrechte (zumindest) teilweise entzogen, wie das der freien Ortswahl usw.
Natürlich mag es leicht sein, diese als faul zu brandmarken, doch bedenke man: erfolgreiche „Siegertypen“ im alltäglichen Wettbewerb (Konkurrenz), bedürfen der erfolglosen „Verlierertypen“, damit dieser funktioniert, ja, wäre schlicht als Triebkraft sinnlos. Übrigens, aus Konkurrenz als gesellschaftliche Triebkraft ergibt sich in zwingender Logik bedingungslose ChancenUNgleichheit! Alles Schöngerede ist Larifari!

Aber wehe, Du gehst auf die Straße um außerhalb der parlamentarischen Demokratiervereinbarung zu protestieren. Fehlanzeige! Dann gilt's Du als Radaubruder (was manche sicherlich sind). Hast Du es aber zu DDR-Zeiten gegen die Obrigen gemacht, dann giltst Du als Freiheitskämpfer einer friedlichen Revolution … was wohl die Krönung von Geschichtsverdrehung darstellt. Beide so genannten Systeme gehören auf den Müllhaufen der Geschichte aber das jetzige noch viel mehr, da es hochaggressiv und sehenden Auges gerade eben voll dabei ist, uns alle in die Luft zu jagen. Wer dagegen ist, gilt als Dummkopf, Rückwärtsgewandter DDR-Nostalgiker, Radaubruder, Russenfreund, manchmal gar als Terrorist aber wohl am meisten als Ungehorsamer, der mit den tausenden Zuckerwässcherchen in Plastikflaschen usw. nicht zufrieden ist, also seinen golden zurecht geredeten Käfig nicht einfach hinnehmen will.

Herr Gott noch mal, wozu sind wir denn hier auf Erden?

  • Um etwa all diesen Konsumschrott von Industrieabfällen, die als Nahrungsmittel zurecht geworben werden, durch unsere Körper zu entsorgen?
     
  • Um in vierzig und mehr „Arbeitsjahren“ nichts anderes zu machen, leidenschaftlich gar, als all den vorstehend beschrieben Industriemüll für Lohn zu produzieren? Lohn, der nichts anderes darstellt, als die erzwungene Bestechung, die Lebenskraft in toten „Reichtum“ zu verwandeln.
     
  • Um als Wahlvieh ohne wirkliche Eingreifmacht in dieses System, die Illusion von Freiheit aufrechtzuerhalten, damit dessen Fanatiker umso hämischer unseren „freiwilligen“ Gehorsam umso gehorsamer abrufen können?
     
  • Um „einsichtig“ zu vergammeln, wenn wir nicht über die nötigen Finanzen verfügen, um das Leben halbwegs angenehm finanzieren zu können?
     
  • Um blindwütig kostenlose Überstunden zu schruppen, damit unsere ganze Kreativität und Lebenskraft in sinnlose Beschäftigungsprojekte versickert?

Nein, nein und nochmals nein. Wir alle sind hier, um unser Leben in vollen Zügen zu leben – unabhängig von irgendwelchen Bewertungskriterien!

 

Und, warum soll Leben nur möglich sein, wenn es durch das Nadelöhr von Lohnarbeit und Geld gepresst wird? Das ist doch solcher Schmarrn, dass es schon wieder bewundersnwert unsere menschliche Schöpferkraft aufzeigt, diesen als „Naturgesetz“ für gewiss zu halten. Und dabei ist Leben, auch menschliches, ungefähr 4,5 Milliarden Jahre nicht nur ohne all dem ausgekommen, sondern sogar nur so entstanden. Man staune! Die höchstens 500 Jahre Finanzierbarkeit im modernen Sinne bis heute sind die absolute Ausnahme.

Das allseits verwirklichte Prinzip der Lebensfinanzierung samt Konkurrenzprinzip ist nicht nur nicht der Höhepunkt menschlicher Entwicklung, sondern dessen absoluter Tiefpunkt. Der läuft momentan auf der umfassenden Zerstörung menschlichen Lebens hinaus, wenn wir uns nicht endlich an den Ungehorsam erinnern, ungehorsam gegenüber allem zu sein, was uns als unmenschlich und naturfremd beherrscht, was gegen Leben und damit gegen Menschlichkeit steht.

Können wir das überhaupt noch? Ich bin mir nicht so sicher!

Was fühlen Sie beispielsweise, ja auch Sie, wenn Sie diese Zeilen lesen: Beklemmung? Empörung, was der Heidler da schreibt? Jammern auf hohem Niveau (womit jede Kritik tot gemacht werden soll)? Ablehnung? Angst, die eigene (vermeintlich) finanzielle Sicherheit damit zu gefährden?

Jedenfalls wissen wir alle (ich habe es bei sterbenskranken Klienten erlebt), es nützen diese finanziellen Sicherheiten gar nichts, wenn es einen an den Kragen geht. Dann kommen die wirklichen Gründe hoch, wozu wir hier auf Erden sind und was alles gereut wird, nicht gemacht zu haben. Wie auch andere vor mir, die sich mit Sterben und Tod auseinandersetzten, erlebte ich noch nie, dass jemand in Angesicht schlimmer Leiden bzw. des Todes es reut, zu wenig Lohnarbeit geleistet, zu wenig konsumiert zu haben. Es reut hingegen, zu wenig im Regen getanzt zu haben, zu wenig mit den Lieben zusammen gewesen zu sein, zu wenig an Blumen geschnuppert zu haben usw.

Und manchmal denke ich nicht nur, dass Leben auch ohne Lohnarbeit, Konkurrenz und Konsum möglich sein könnte, sondern sogar tausendmal besser sich entfalten kann, als bei all den Beschneidungen, die das jetzige System erfordert und ausmacht!

Wie viele Menschen mögen niemals ihre Kreativität haben ausleben können, weil sie nicht nur zu wenig Netzwerk, zu wenig Geld, zu wenig Chancen hatten, sondern weil sie nicht so hartherzig, wie die Sieger der Konkurrenz sein konnten? Und, wieviele haben nicht einmal das Alter erreicht, in dem ihnen die Chancen dafür hätten vielleicht zur Verfügung gestanden?

Dafür zwei Zahlen:

  • Kinderarmut in Deutschland:
    offiziell ca. 2 Millionen!

     
  • Kindersterblichkeit in der so genannten dritten Welt:
    Es heißt offiziell ca. 6 Millionen Kleinkinder pro Jahr versterben an Hunger (ca. die Hälfte) und leicht vermeidbaren Erkrankungen. Man rechne aus, in ca. acht Jahren sterben so viele Menschen, wie im zweiten Weltkrieg. Aber der hörte nach sechs Jahren auf, das Kindersterben nicht! Oder gelten die toten Kinder für weniger wertvoll als erwachsene Westler?

Der wahre Grund für dieses gesellschaftlich bedingte Verbrechen: Sie könnten aus den vorhandenen Ressourcen locker gesättigt und damit gerettet werden, aber es ist schlicht in dieser pervertierten Gesellschaftsform, die Konkurrenz zum Gott erhoben hat, nicht rentabel sie zu retten. Das ist die Wahrheit und dieses Grauen ergibt sich aus unser aller Gehorsam gegenüber diesem System.

Und zu sagen, dass ist zu weit weg, um selbst helfen zu können, ist Selbstrechtfertigung. Denn auch hier tobt sich alltäglich dieses Grauen aus, nur eben unter dem schönen, alltäglichen Schein verborgen.

Weitere zwei Stichpunkte dafür:

  • Allein in Deutschland werden zwischen 15 und 30 Prozent sexuelle Missbräuche an Kindern geschätzt, davon drei Viertel Mädchen. Rechnerisch sind das etwa jedes sechste bis dritte Kind, also zwischen ca. 1,5 bis über 3 Millionen! Angezeigt werden hingegen nur 14.000, von tatsächlichen Verurteilungen ganz zu schweigen! Übrigens, verdient es sich im marktwirtschaftlichen Kinderpornogeschäft ziemlich gut, bei geschätzten weit über 50 Milliarden Euro Gewinn pro Jahr. Was als niedrig geschätzt gilt. Kein Wunder, dass so mancher Politiker alle Augen zudrückt.
     
  • Aber auch die gesellschaftlich bedingten Todesfälle dürfen nicht unerwähnt bleiben, selbst wenn sie dem Schicksal, dem Alter oder dem lieben Gott in die Schuhe geschoben werden. Herz-Kreislauf- und Krebserkrankungen sind aus „vormodernen“ Kulturen so gut wie unbekannt. Im freiheitlich-demokratisch-marktwirtschaftlichen Deutschland sterben daran jährlich knapp 250.000 Menschen an Krebs und knapp 350.000 an Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Sind diese und noch viele Andere auch aus Gehorsamkeit gestorben?

Fast fürchte ich: Ja!

Hendrik Heidler©, Scheibenberg, am 11. Oktober 2017

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