Wenn der Schein trügen soll
Ein Vergleich von „finsterem" Mittelalter und „heller“ Neuzeit
geschrieben am 13.03.2023 von Hendrik Heidler, Scheibenberg
Wenn der Schein trügen soll
Ein Vergleich von „finsterem" Mittelalter und „heller“ Neuzeit
Von Hendrik Heidler
Einleitung
Mit Blick auf die zunehmenden Krisenerscheinungen halte ich es für sinnvoll, einen ungefärbten Blick auf das angeblich so finstere Mittelalter zu wagen. Vor allem wenn es um solche Lebensqualitäten wie Lebenslust, Muße, Erfüllung, frei verfügbare Zeit, Gemeinschaft, Naturnähe und Einklang mit natürlich-biologischen Rhythmen geht.
Auch wenn nach Außen hin die modernen Erscheinungen wie Lohnarbeit, Maschinen, Konsum und Warenvielfalt, Individualverkehr, Schulmedizin, künstliches Licht, Digitalisierung, umfassende Uhrzeitmessung usw. als fortschrittliche Errungenschaften gedacht werden, stellt sich die Frage, weshalb beispielsweise trotzdem hinsichtlich innerer Zufriedenheit und Lebenserfüllung, Beseitigung massenhafter Volkskrankheiten, Verhinderung von Kriegen, Armut und Hunger keine wirklichen Durchbrüche erreicht wurden sondern sie sogar wieder deutliche zunehmen.
Dabei kann beobachtet werden, wie gerade mit den explosiv computerisierten Produktivitätssteigerungen und Digitalisierungsprozessen der Verfall von Lebensqualität einher geht. Ein gravierender Widerspruch! Eigentlich sollte doch, auch bezüglich der diesbezüglich wiederholten politischen Versprechen, etwas ganz Anderes erwartet werden. Aber so ist es nicht und deshalb findet sich nachfolgend eine andere Sicht auf das angeblich so finstere Mittelalter im groben Vergleich auf die vermeintlich so helle Moderne.
Damit will ich keinesfalls das Mittelalter idealisieren sondern aufzeigen, dass wir eben gar nicht in der besten Gesellschaftsform aller Zeiten leben.
Ein Vergleich von „finsterem" Mittelalter und „heller“ Neuzeit
Ist vom finsteren Mittelalter die Rede, tauchen fast automatisch innere Bilder von zerlumpten Gestalten stinkenden Gassen, Armut, Hunger, schufften bis zum Umfallen, Brutalität, Hexenverbrennung und Aberglaube auf. Vorstellungen, so gewohnt wie falsch und höchstens für das ausgehende, verfallende Spätmittelalter zutreffend, und umso mehr für Neuzeit und Aufstieg der bürgerlichen (kapitalistischen) Gesellschaftsformation. Beispielsweise fand die Hochzeit der Hexenverbrennungen eben nicht im Mittelalter sondern erst von 1550 bis 1650 innerhalb der frühen, positiv verklärten Neuzeit statt. Diese und viele andere Schweinereien passen natürlich nicht ins Bild von einer fortschrittlichen, humanistischen und wohlständigen bürgerlichen Gesellschaftsformation, in der wir ja bis heute leben und die trotz größter Menschheitsverbrechen bis jetzt immer noch als beste aller Zeiten hingestellt wird. Kein Wunder also, wenn auch deren Geschichte so verfälscht wurde, dass entweder alle ihre früheren Verbrechen dem angeblich finsteren Mittelalter untergeschoben wurden oder aber als Abweichungen, Ausnahmen oder zivilisatorische Brüche dargestellt werden – gerade weil die nicht fassbare industrielle Vernichtung von sechs Millionen Juden oder der bewusst als Vernichtungskrieg geplante Feldzug gegen Sowjetrussland mit 27 Millionen Toten eben keine Abweichungen sondern zutiefst systemimmanente Verbrechen waren. Eigentlich erstaunt es, dass es damit und anderen Unwahrheiten bis heute gelang, dieses System als gut, menschlich und als bestes aller Zeiten darzustellen und die Mehrheit damit so zu identifizieren, dass sie selbst bei Gefahr des atomaren Untergangs darin verharren möchte.
In diesem Zusammenhang finden sich bemerkenswerte, von der offiziellen Geschichtspropaganda abweichende Forschungen unbestechlicher Historiker zu den Lebensverhältnissen im tatsächlich blühenden, farbenfrohen Hochmittelalter. So konnte anhand historischer Quellen hinsichtlich Aufwand, Kosten, Verbrauch usw. Vergleiche zu den Lebenshaltungskosten im Hochmittelalter zu Spätmittelalter und Neuzeit festgestellt werden, dass mitunter bis heute noch nicht wieder die Lebensqualität für die Allgemeinheit wie damals erreicht werden konnte. Und das bei eine bejubelten Produktivitätssteigerung gegenüber dem Hochmittelalter von zehntausende Prozent. Da taucht natürlich die Frage auf, weshalb diese Produktivität nicht wirklich für alle zu einer entsprechend weit höheren Lebensqualität umgesetzt werden konnte. Jetzt reden sogar Politiker und so genannte Arbeitgebervertreter davon, Feiertrage zu streichen, bis 70 zu arbeiten und das die fetten Jahre vorbei seien. Ja, geht’s noch … und weshalb wird das mitgemacht? Aber es ist bei diesen sozial-historischen Forschungen noch gravierenderes herausgefunden worden. So war es keine Ausnahme sondern die Regel, dass durchschnittlich in dieser mittelalterlichen Blütezeit nur drei Tage die Woche und auch nur sechs Stunden am Tag geschaffen werden brauchte, um sogar viel mehr als das tägliche Brot zu erwirtschaften. Die restlichen vier Tage dienten der Muße und, kaum zu glauben, dabei müssen von diesen drei „Werktagen“ sogar noch die unzähligen Feiertage, Feste und Fastenzeiten eingerechnet werden, an denen gar nicht oder zumindest weniger geschaffen wurde.
Erst mit der Neuzeit, dem Einrichten von Manufaktoren bis hin zu Fabriken, also der zunehmenden Industrialisierung und damit einhergehend der enormen Steigerung der Produktivität kam es zu Arbeitszwang, dem Streichen der meisten Feiertage, zu rollenden Wochen, Sklavenarbeit und unsäglich langen Tagesarbeitszeiten bei keinem bzw. nur geringsten Hungerlöhnen gerade für Kinder und Frauen. Und nur für eine kurze Zeitspanne und in wenigen Ländern (weltweit gelang das nie) kam es (zusätzlich unterbrochen durch selbst verursachte Krisen, wie Kriege, Finanzcrash usw.) zu einem gewissen Wohlstand breiterer Schichten. Der 8-Stunden-Tag galt als große Errungenschaft obwohl das im Vergleich zum Hochmittelalter offensichtlich nichts Neues war. Aber selbst das und vieles Andere wird gerade wieder Vergangenheit und so, wie in der Aufstiegsphase dieses bürgerlichen Systems Not, Elend und rohe Gewalt vorherrschten und zu dessen Durchsetzung notwendig waren, kehren sie jetzt in deren Verfallsstadium erneut zurück. Diese sind keineswegs nur politischen Entscheidungen geschuldet (die es freilich verstärken) sondern wesenseigene Prozesse und systemische Zwänge. Somit liegt auf der Hand, dass mit den Mitteln und Methoden dieses Systems, und jetzt erst recht während seines Verfalls, sie weder aufgehalten noch umgekehrt werden können, sondern genau dazu führen, was wir zunehmend erleben: Leid, Elend, Armut, Mord und Todschlag. Je mehr das System auch mit politischen Entscheidungen und gesetzlichen Zwängen erhalten werden soll, umso mehr wird dessen Verfall beschleunigt.
Zusammengefasst ergibt sich daraus, dass die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen viel zu eng für die hohe Produktivität sind, weshalb sie in diesem System noch nie zu wirklich allseitigem Wohlstand umgewandelt werden konnte, noch nicht einmal hochmittelalterliche Zustände erreicht wurden und jetzt sogar eine Rolle rückwärts erfolgt, ja, diese sogar noch sich als naturgesetzlich vollziehender Fortschritt propagiert wird. Es ist eben nicht das menschlich unfähige kapitalistische System, was dafür verantwortlich ist, sondern heutzutage böse Russen, faule Arbeitslose, ignorante Querdenker und esoterische Impfgegner, wie es früher satanische Hexen, halbwilde Indianer, arbeitsscheue Neger und raffgierige Juden sowie schon einmal (bolschewistisch-jüdische) Russen waren, die die paradiesische bürgerliche Superwelt verhinderten … es hieß und heißt: „nur noch die müssen wir besiegen, aber dann, ja dann kommt der Himmel auf Erden …“ Ja, wer’s immer noch glaubt, obwohl doch längst das Gegenteil grausamst bewiesen ist, dem ist wohl nicht mehr zu helfen …
Noch einmal klar gestellt:
Mit diesen Ausführungen will ich keinesfalls das Mittelalter idealisieren sondern aufzeigen, dass wir eben gar nicht in der besten Gesellschaftsform aller Zeiten leben.