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Aufstand der Träumer

Über den Sinn

geschrieben am 21.11.2022 von Hendrik Heidler, Scheibenberg

Aufstand der Träumer

Über den Sinn

Von Hendrik Heidler

Friedlich still liegt der Same einer Rose in der Erde. Vielleicht träumt er. Wovon? Dereinst Rose zu sein. Wovon sonst? Stimmen die Bedingungen … Wasser … Wärme … Nahrung … Raum … Licht … erwacht sein Traum zum Leben und wächst in sich selbst hinein bis wir die Schönheit dieses Traums als Rose bewundern. Freilich, wir Menschen können durch Zuchtwahl, auch durch genetische Eingriffe mit dem Samen träumen, die Bedingungen für dessen Wachstum beeinflussen, aber ziehen können wir die Rose nicht aus ihrem Samen. Leben ist für uns da und was oder wer es wie erträumt hat, davon wissen wir bis heute wohl immer noch recht wenig (wenn überhaupt etwas).

Auch wir Menschen träumen, nachts im Schlaf oder am Tag manchmal vor uns hin. Wir haben Träume als Kinder, im Spiel, wir träumen von dem, was wir sein wollen und davon, was uns freut oder auch ängstig. Unsere Träume kommen nachts über uns als seien es Naturgewalten, auf die wir (angeblich) keinen Einfluss haben, oder wir träumen ganz bewusst im Wachsein von unseren Zielen. Aber wir werden auch geträumt, von unseren Ahnen in Form unserer familiären Eigenheiten und auch dem, wie wir als Menschheit gegenwärtig leben, lieben und auch leiden. Dabei träumen wir diesen Traum ganz selbstverständlich mit, ohne uns dessen bewusst so sein, fast so als seien wir im Wachen Schlafwandler. Natürlich träumen mit und in uns auch die Träume der Tiere, Pflanzen, Sterne und Gesteine, der Wasser, Feuer, Lüfte und Erden. Wir träumen und werden geträumt und wir träumen auf irgendeine Weise immer.

Der wohl größte Unterschied zwischen unseren Träumen und dem Traum der Rose erscheint mir der zu sein, bewusst und absichtsvoll träumen zu können. Der Traum der Rose lässt weitestgehend nur zu, als Rose zu erwachen und dann Rose zu sein. Doch wer oder was ist Mensch? Unser Traum scheint mir nicht festgelegt, weder der eines einzelnen Menschen noch der von dem was viele Menschen sind. Was die Freiheit eröffnet, sich als Mensch und als Menschheit selbst zu erträumen. Darin mag sich das zeigen, was religiös als Ebenbild Gottes gemeint ist, Schöpferwesen zu sein. Ein Schöpferwesen, was gar nicht anders kann als schöpferisch zu sein als zu erschaffen, sich selbst stets aufs neue genauso wie seine Welt und seine Beziehungen zu ihr und zu sich selbst und miteinander. Das kann bewusst geschehen oder auch ganz unbewusst und wie mir scheint, stehen wir hier als Menschen noch nicht mit zwei Beinen aufrecht. So sind wir uns unserer selbst zwar bewusst doch gemeinschaftlich schaffen wir unsere Beziehungen mehr oder weniger im unbewussten Selbstlauf … was einer der tieferen Grund für die gegenwärtigen Krisen zu sein scheint.

Was träumen wir also wie? Träumen wir bewusst davon, wie unsere menschliche Gemeinschaft zu gestalten ist, um jeden Menschen ein erfülltes, befriedigtes und menschliches Leben zu ermöglichen, also des einen Vorteil nicht zum Nachteil eines anderen werden zu lassen? Also davon, dass alle äußeren Bedingungen so gestaltet sind, dass alle Menschen in ihrer Eigenheit, ihren Träumen sich so entfalten können, wie es selbstbewussten Menschen geziemt und ohne dass dafür die Träume anderer geopfert und zerstört werden müssen?

Träumen wir überhaupt noch solche Träume, wie sie die Gründer von Religionen träumten, dem Reich Gottes auf Erden … wie sie Träumer von „Utopien“ und von „Sonnenstaaten“ träumten … wie sie Philosophen formulierten oder wie sie in Märchen und Mythen nachklingen? Träumen wir noch von einer gerechten, menschlichen Lebensweise der gesamten Menschenfamilie? Oder ist uns dieses Träumen abhanden gekommen (oder madig gemacht worden durch rücksichtslose Versuche, Menschen gewaltsam an Utopien anzupassen) und träumen wir nur noch vereinzelte Träumchen, um gerade so noch als Person, Familie, Gruppe, Staat oder bestenfalls Staatengemeinschaften durchzukommen und nicht mehr davon, dass es allen gut zu gehen habe? Was unter den jetzigen Bedingungen durchaus zu verstehen ist und kaum noch anders zu funktionieren scheint – aber dennoch, wie kann das auf Dauer gut gehen, wenn es dafür anderen Menschen infolge der gesellschaftlichen Strukturen automatisch schlechter geht? Ich denke, auf diese Weise kann es, beispielsweise uns hier, nur vorübergehend gelingen halbwegs gut über die Runden zu kommen. Aber was wird morgen und übermorgen werden, was doch bei den jetzigen Entscheidungen mit einzurechnen ist. Deshalb steht auch die Frage an, was das letztlich für Träume sind, bei deren Verwirklichung eben auf Kosten Anderer, auf Kosten der Natur, auf Kosten von Zerstörung gelebt werden will? Ich denke bei ehrlichem betrachten, entpuppen sie sich als Albträume, die sich getarnt als Freiheit, Demokratie, Wissenschaft, Reichtum sosehr in uns eingeschlichen haben, dass wir sie schlafwandlerisch während unseres Wachsein vollziehen, als könnten wir nicht anders. Ja, vielleicht sind wir als Menschheit in einem Irrtum gefangen, und dass, was wir als bewusste Wachheit erleben, ist ein gemeinschaftlicher Alptraum aus dem wir nicht erwachen können (und wollen), solange wir uns bereis als bewusst erwacht betrachten und an diesem daher mit allen Mitteln festhalten – selbst auf die Gefahr hin, niemals als wirklich bewusste Menschen zu erwachen – weil wir vorher gemeinschaftlich untergehen.

Wie sieht also unser Traum von uns selbst als Menschheit aus? Ist es der Albtraum von einem Ungeheuer, dass mittels Zwang und Geld und Herrschaft gezähmt werden muss? Oder ist es der kühne Traum von einem Wesen, welches alle Anlagen und Fähigkeiten dazu besitzt, sich als menschlicher Mensch über das hinaus zu träumen, was als grausame bisherige Geschichte bekannt ist?

Ich bin sicher, dass wir letzteres können und alle Anlagen und schöpferischen Fähigkeiten dazu haben! Doch ich bin auch hin und her gerissen, ob es uns gelingt, aus diesem unbewussten Albtraum zu erwachen, der uns glauben macht, wir könnten nichts dagegen tun als „böse“ Wesen zu sein, als eins dem anderen Feind zu sein, als uns für alle Zeiten Geld, Herrschaft, Reichtum, Armut, Hilflosig- und Sinnlosigkeit ausgeliefert zu empfinden!

Doch wir haben diese bisherige, so leidvolle Geschichte selbst erträumt und gestaltet, wenn auch eher schlafwandlerisch als bewusst. Aber wir haben sie gestaltet und demzufolge können wir sie auch ändern und anders erträumen, bewusst gestalten. Niemand anders könnte uns als Menschen davon abhalten als wir uns selbst. Und das ist der Punkt, der Knackpunkt, die Schranke, vor der wir stehen: verbleiben und immer wieder zurück in den selben Albtraum oder über die Schranke hinaus gehen. Zurück in die Zukunft wird nur die Zerstörungskräfte so sehr aufbauen, bis wir uns tatsächlich selbst zerstören. Was wir derzeit erleben.

Doch um diese selbst erschaffene angeblich unüberwindliche Schranke anzuheben braucht es unser Träumen, unsere Träume von einem menschlichen Leben für jeden Einzelnen und für alle Gemeinsam. Dieses Träumen ist schöpferisch, kühn und frei und kann nicht mit einem vorgegebenen Menschenbild verglichen werden. Es gibt keinen fertigen Sinn, genauso wenig, wie es einen fertigen Plan geben kann, auf welche Weise Menschen menschlich miteinander in Beziehung treten können OHNE sich gegenseitig zu verletzen, zu unterdrücken oder einige auf Kosten anderer zu leben. Das müssen wir schon selber schaffen.

Es erschrickt mich, dass es mir leider fast nirgends gelungen ist, diese Träume von einer gerechten Welt noch zu entdecken. Nahezu die gesamte Menschheitsgeschichte hindurch wurden sie geträumt und auch angestrebt … und jetzt, wo sie bitterer nötig wären als jemals zuvor, scheinen mir diese wunderbaren, lebenserhaltenden, menschlichen und liebevollen Träume abhanden gekommen zu sein. Alles was zu sehen ist, bewegt sich innerhalb der bisherigen (Alb-)Träume, die uns in die jetzige Misere gebracht haben. Freilich meistens in schönen, neuen Wörtern gekleidet, setzt es  doch nur Allzubekanntes in anderen Bildern, Farben und Formen fort, was uns im krankmachenden Hamsterrädchen festhält.

Oder übersehe ich da etwas?

Falls wieder Energie, Maskenlosigkeit, Meinungsfreiheit usw. erreicht wäre, was dann? Das gleiche Spiel von vorn, wie bisher, immer wieder und immer wieder, wovon die Geschichtsbücher nur so strotzen? Ich meine, falls wir uns diesmal nicht gleich ganz abgemurkst haben, wonach es fast aussieht? Also was dann, was übersehe ich? Wo sind die Träume über das bisherige hinaus? Wo sind die Träume, wovon noch frühere Genrationen träumten?

Ich sehe sie zumindest öffentlich nirgends … und das macht mir Angst, dass wir es jetzt an der Schranke, die wir bloß aufmachen bräuchten nicht schaffen und lieber zurück gehen, voraus in den verwirklichten, nicht daraus erwachbaren Albtraum …

… und doch, ich träume weiter, noch geht es!

Hendrik Heidler, 03./21.11.2022

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