Suchbild: Wo ist der idyllische Waldwanderweg? – fotografiert von Hendrik Heidler

Waldvernichtungsprogramm

Oder: Vom Märchen, wie durch mehr Vernichtung weniger vernichtet werden soll

geschrieben am 16.09.2019 von Hendrik Heidler, Scheibenberg

Waldvernichtungsprogramm
Oder: Vom Märchen, wie durch mehr Vernichtung weniger vernichtet werden soll

Von Hendrik Heidler


VORWORT

In den vergangenen Tagen hatte ich Gelegenheit, mit einigen Lokalpolitikern bzw. Amtsträgern über die Probleme der Forst- und Landwirtschaft zu sprechen. Allgemeiner Tenor: Es ist eine finanzielle Zwickmühle, die letztlich zur laufenden Naturvernichtung führt. Seltsam dabei, das dazu zwingende Wirtschafts- und Gesellschaftssystem nicht am allereinfachsten Maßstab bemessen wird den es gibt: „Dient es Mensch und Natur?“ Da es gegenwärtig dabei ist, unser aller Lebensgrundlagen intensiv und gleichgültig niederzuwalzen, brauchen wir es doch nicht nur nicht, sondern müssten es eigentlich umgehend abschaffen. Doch wird es ideenreich bis saublöd gerechtfertigt, die Gründe in politischem Versagen oder individueller Inkompetenz gesucht. Völlig sinnlose, ja, kontraproduktive Naturschutzsimulationen werden durchgezogen, wie Blühstreifen mit Samenmischungen, die an der Adria die gleichen sind, wie im Erzgebirge oder in Skandinavien. Und nach zwei, drei Jahren wachsen dort nur noch Disteln, die wieder mit Herbiziden vernichtet werden. Was soll das?

Inzwischen werden Wälder und Felder solchermaßen vernichtet, dass sogar der Grund, um den es geht, gnadenlos Mehrwert anzuhäufen, in den kommenden Jahren immer weniger möglich sein dürfte.

Hauptsache jetzt Gewinn um jeden Preis,
das Morgen schert uns einen Scheiß.

Diese Haltung erinnert fatal an den Untergang der Titanic, da der Sekt mit dem Eis vom Eisberg gekühlt wurde, als das Schiff bereits absoff.

 

WALDVERNICHTUNGSPROGRAMM

Seit über einem halben Jahrhundert wohne ich am Scheibenberg. Noch nie erlebte ich eine solche umfassende aber auch gleichgültige Zerstörung unseres Berges mit seinen Wäldern, Wegen und ursprünglichen Flecken. Die Vernichtung ist so massiv, dass Wanderwege nicht einmal mehr mit Outdoor-Ausrüstung begehbar sind. Orte, die bei meinen Kräuterwanderungen mit seltenen, auch geschützten Heilpflanzen die Herzen der Teilnehmer entzückten, gibt es nicht mehr. Die laut verkündete Förderung von Selbstständigen wird zum Hohn gemacht, berühren doch diese geförderten Vernichtungen auch meine wirtschaftliche Existenz. Die Waldböden werden von unten nach oben gekehrt, wunderbare, natürliche Spielmöglichkeiten an geheimnisumwobenen Stellen für die Kinder von martialischer Waldvernichtungstechnik überrollt. Die, auch nur teilweise, wie vorab angekündigt wiederhergestellten Wanderwege haben nicht nur ihren idyllischen Charakter verloren, wurden im Gegenteil zu breiten, straßenähnlichen Schneisen. Verlustig gegangen ihres vielfältigen, ortstypischen Pflanzenwuches und nun überwuchert mit „Doggen“ (Krause Ampfer). Einer Pflanze die zerstörte, verfestigte Böden anzeigt. Wie soll da noch gesunder, auch wirtschaftlich nutzbarer Wald bestehen bzw. nachwachsen können? Von den sowieso lebensschwachen, monokulturellen Waldplantagen ganz abgesehen. Fast scheint es mir, ein Aufatmen geht durch die Reihen fanatischer Marktwirtschaftsfunktionäre, wenn sie das Wort Klimawandel in den Mund nehmen können und sich damit aus der Verantwortung herauszuwinden versuchen, gar von Chancen schwafeln. Übersetzt heißt das: „Die bereits erfolgte Erdzerstörung mit intensiv fortgesetzter Erdzerstörung heilen.“ Wie blind muss man sein, um auf solche Blödheiten zu kommen, oder wie eiskalt? Aber selbstverständlich darf die kapitalistische Wirtschafts- und Lebensweise absolut nicht Schuld daran sein, sondern eben der von Natur aus sündige Mensch. Da könne man eben nichts machen als weiter so! Das erdzerstörerischste System aller Zeiten wird als bestes aller Zeiten ausgegeben. Eine beachtliche Leistung … und es wird geglaubt!

Wegen der vielen Schäden, die weiß Gott nicht an der Trockenheit, an Stürmen und Insektenfraß liegen – diese bringen die irrsinnigen Folgen der Wachstumsmaschinerie nur ans Licht – müssen Gemeinden noch Geld drauflegen, damit Firmen überhaupt bereit sind, das Bruchholz aus den Wäldern zu holen. Bezahlte Waldvernichtung! Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Schonende Verfahren (z. B. mit Pferden), die hier am Scheibenberg als anerkannt NationalerGeotop, als Landschaftsschutzgebiet „Scheibenberg“ und als Staatlich anerkannter Erholungsort mehr als sinnvoll wären, sollen auf ehrenamtliche Weise zum Einsatz kommen. Wie die Anbieter solcher Techniken wirtschaftlich leben sollen, spielt offenbar keine Rolle. Spricht aus all dem nicht Heuchelei?

Ich selbst hole seit vielen Jahren Holz aus den hiesigen Wäldern, um meinen privaten Bedarf an Feuerholz zu decken. Interessanterweise wurde es in dem Maße zunehmend schwieriger, entsprechende Waldstücke zugewiesen zu bekommen, wie der Wald sich mit Bruchholz füllte und wie eilig und rücksichtslos gewalttätige Maschinen begannen, den hiesigen Raum am Scheibenberg flächendeckend zu vernichten. Zufall? Offenbar spielen die andauernd als schlimme Unholde bemühten Borkenkäfer keine Rolle, solange die Bäume noch nicht profitabel aus dem Wald geholt sind. (Mir scheint, den Borkenkäfer fressen zu lassen, richtete inzwischen weniger Schäden an, als die militärisch anmutenden Forsttechniken in den Wald zu lassen.) Dann liegen sie monate- bis jahrelang im Wald. Willkommenes Futter für die appetitlichen Insekten. Anfragen zur privaten Beseitigung dieser Bäume für meinen Haushalt wurden mit der Begründung abgeschmettert, dass erst die Unternehmen durch müssten. Aber die haben entweder gar kein Interesse oder warten offenbar, bis die Gemeinden bereit sind, Geld drauf zu legen. Und die Schäden und Folgekosten? Die werden auf die Allgemeinheit umgelegt. Unternehmerisch rücksichtslose Mehrwertgewinnung, und die Schäden können die Bürger ehrenamtlich beseitigen. Und wer nicht dabei mitmacht, gilt als unsozial, gerät in schlechtes Licht.

Dieses Waldvernichtungsprogramm läuft ungerührt wider besseren Wissens weiter, wälzt sich gleichgültig durch die Wälder. Es gibt inzwischen genügend Untersuchungen die belegen, dass selbst für die irrsinnige „Selbstzweckmaschine“, aus einem Euro Zwei machen zu müssen, dieser Vernichtungswahn nachteilig ist. Aber sie kann nicht anders, sieht nur den Vorteil im Augenblick. Die Zukunft ist ihr egal, selbst die in der Zukunft zu bedienenden Kredite der Forstkriegsmaschinerie.

Und was geschieht, wenn man darauf aufmerksam macht? Nichts! Es ist, als weine man, schreie man, argumentiere man, zeige man ins Leere. Wir machen weiter so, bis zum Tod. Vielleicht geht es auch darum, wenn schon keinen funktionierenden Kapitalismus mehr, dann gar kein Leben mehr, und erst recht keine menschliche Alternative. Amok einer ganzen Gesellschaft!

 

NACHWORT


Überall im Land und auch weltweit rühren sich aus der Erschütterung über die nahezu flächendeckende Vernichtung des Waldes und anderer Lebensgrundlagen zunehmend mehr Menschen. In Aufrufen, Unterschriftensammlungen, Büchern, Leserzuschriften, Websites und so genannten Sozialen Medien versuchen zunehmend besorgte Menschen Gehör zu finden, Widerstand zu organisieren. Diese Besorgnis spüren Politiker ebenso wie die Verantwortlichen inländischer Unternehmen bis hin zu global agierenden Konzernen, welche sich alle einen grünen Anstrich geben, offenbar damit Gutgläubige daran kleben bleiben. Auch der Wahlkampf in Sachsen war ein brechreizerregendes Beispiel für derartige Heuchelei. Es geht um Wählerstimmung, nicht um Stimmen für den Wald. Letztere verhallen als seien sie nicht erklungen. Gleichgültig bis zynisch wird nicht nur weiter zermalmt, gehäckselt und vergiftet, sondern die Vernichtung gar noch intensiviert. Der bereits deutlich vernehmbare Aufschrei vieler Menschen verpufft wirkungslos. Es schallt längst nicht mehr so aus dem Wald, wie man hineinruft. Man bekommt überhaupt keine Antwort mehr. Und weshalb? Die Systemfrage wird nicht gestellt obwohl das vorherrschende System offen sichtbar seine Entwicklungsfähigkeit völlig verloren hat. Die Rücksichtslosigkeit, mit der das letzte bisschen Wert aus Wald und Mensch gequetscht wird, ist ein Beweis dafür. Dennoch wird die Lösung innerhalb dieses Systems gesucht, ganz in der schon immer untauglichen Hoffnung, die Ursachen der Misere gleichermaßen für deren Beseitigung nutzen zu können. Ja, was muss noch geschehen …???

Hendrik Heidler©, Scheibenberg, 12. September 2019

 

Zu den Fotografien

Der aktuelle Zustand am Scheibenberg, hier, der einst idyllische Wanderweg nach Walthersdorf. Die vorab angekündigte Widerherstellung des ursprünglichen Zustandes darf ins Reich der Legenden verwiesen werden, ist bloße Bauernfängerei.

 

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