Schicksal oder System?
geschrieben am 29.10.2018 von Hendrik Heidler, Scheibenberg
Nachfolgenden Text schrieb ich heute mit einem weinenden Herzen nach der Nachricht von Bekannten über ein weiteres, schwerst verletztes Kind infolge dieser unseligen, weltweit erdrückenden Lebensweise! - Hendrik Heidler
Eigentlich hatte ich vor, über das Feuerwerk des Herbstes, über die Freude der geborenen Knospen zu schreiben, mit der das bunte Laub die bereits jetzt träumenden Blüten begrüßt. Aber mich treibt die Wut, etwas anderes zu formulieren. Die Wut über ein hausgemachtes System, welches sich jeder Verantwortlichkeit für seine Opfer entzieht, indem es entweder alle Schuld einzelnen Individuen in die Schuhe schiebt, das Schicksal bemüht oder sich mit dem Leben gleich setzt. Aber das ist alles Lug und Trug, eine einzige Sauerei.
Mich treibt die Wut, wenn ich von Arzt- und Pflegepersonal-Notstand höre. Als ob dieser etwas Natürliches sei, eine Naturkatastrophe oder etwas anderes, von Menschen nicht beeinflussbare und kein selbstgeschaffenes Problem. Die Wahrheit dazu ist doch, dass es unter den gegenwärtigen Gesellschaftsbedingungen finanziell nicht rentabel ist, diesen Notstand zu beseitigen. Genauso wenig wie es dementsprechend nicht rentabel ist, den Hunger auf der Erde zu beseitigen. Es lohnt finanziell nicht, diese Menschen am Leben zu erhalten.
Mich treibt die Wut, wenn Menschen, ja, sogar Kinder sterben müssen, weil kein Fachpersonal in der Notaufnahme verfügbar ist bzw. dieses mangels Erfahrung völlig überfordert zusammenbricht. Das ist KEIN Schicksal, sondern Ergebnis einer menschengemachten Lebensweise, in der alles durch das Nadelöhr der finanziellen Rentabilität gepresst werden „muss“. Statt Menschen zu retten, wird auf Teufel komm raus dieses irrsinnige System gerettet. Koste es, was es wolle und wenn es das Leben von Kindern ist. Was für ein Irrsinn, Waffenhersteller und Krankenhäuser nach den gleichen betriebswirtschaftlichen Rechnungsmodellen zu bewerten.
Mich treibt die Wut, wenn ich höre, diese unglaubliche Zumutung, mag man sie nun Kapitalismus, soziale Marktwirtschaft, freiheitlich-demokratische Grundordnung oder wie auch immer nennen, sei das Beste, was die Menschheit habe, mehr Menschlichkeit gehe nicht. Das System sei schon OK, nur die Menschen, die Menschen seien halt das Problem. Ja, gleiches hieß es unter realsozialistischen Verhältnissen (übrigens ein staatskapitalistisches System) ganz genau so, und das Christentum predigt ähnliches seit 2000 Jahren. Da war doch eigentlich genug Zeit, um eine menschliche Lebensweise zu erschaffen.
Und dabei liegt das Problem auf der Hand: Wenn diese Systeme die Probleme nicht lösen, bräuchten doch nur die Systeme abgeschafft werden und nicht die Menschen. Es ist doch völlig verrückt,s die Menschen an die Systeme anzupassen, notfalls mit Gewalt, auch mit medizinischer Gewalt oder eben mit finanziellem Zwang.
Mich ergreift die Wut, wenn uns in unserer Praxis wieder und wieder von Leidenden berichtet wird, dass Menschen statt zu heilen, im wahrsten Sinne des Wortes ausgeschlachtet, vergiftet oder in Notaufnahmen liegen gelassen werden, bis sie sterben müssen.
Und noch mehr ergreift mich die Wut, wenn von Seiten hervorragender Systemträger von Schicksal die Rede ist, von der Unbegreiflichkeit des Lebens oder gar Gottes. Oder die Schuld den einzelnen, oft bis an ihre Belastbarkeit getriebenen Ärzten in die Schuhe geschoben wird … Personal-Notstand mangels Rentabilität.
Ein System, mag es sich noch so schön zeigen und edel zurecht reden, welches für tote Werte und unmenschliche Dogmen (Wert, Geld, Mehrwert, Rentabilität, Konkurrenz) Menschen opfert, nur um das System zu erhalten, macht nicht einmal nur keinen Sinn, sondern ist schlicht verbrecherisch. Es kann nicht etwas gut für Menschen sein, was Menschen opfern muss, um sich zu erhalten. „Der Zweck heiligt die Mittel. Aber wenn die Mittel unheilig sind, ist es der Zweck auch.“ Das Zitat stammt übrigens von Karl Marx.
Es ist schon raffiniert, alle Schuld den Einzelnen zuzuweisen, von menschlichem Versagen zu sprechen und nach jedem hausgemachten Opfer, die inzwischen in die Hunderte von Millionen gehen, von „weiter so“ zu plappern. Denn wir brauchen uns nichts vorzumachen, eine extrem hohe Zahl der an Krebs, Herz-Kreislauf-Leiden, Diabetes usw. Sterbenden sind ebensolche Opfer dieses Systems, wie die Verhungernden und in Kriegen gemordeten.
Die Lösung kann nur sein: statt die Menschen ist dieses System abzuschaffen!
Die Schwierigkeit dabei: Wir, jeder Einzelne von uns, ist das System, also kann nur die eigene, bewusste Auseinandersetzung mit dem Grundverständnis von sich selbst innerhalb dieses Systems das System abschaffen und das, nur das, kann als ganzheitliche Heilung bezeichnet werden.
Ja, mich treibt die Wut, wenn von Heilung gesprochen wird, ohne dieses System negativ zu kritisieren, welches für eine Unzahl von Leid und Elend verantwortlich ist. Das nennt man Heuchelei!
Hendrik Heidler, 29. Oktober 2018