Was mag es hier alles an unvertrauten Möglichkeiten geben? – fotografiert von Hendrik©Heidler

Digitalitis – Sturz in den digitalen Spalt

Die digitale Sünde und überhaupt

geschrieben am 09.03.2018 von Hendrik Heidler, Scheibenberg

Essay von Hendrik Heidler

Digital. Vielleicht nennen unsere Nachfahren dereinst unsere Epoche DIGITALISMUS. Eine Welt, in der die sinnliche Wirklichkeitswahrnehmung zu Gunsten von Nichts verloren ging. Eine übertriebene Behauptung? Keineswegs. Digital heißt übersetzt nichts anderes als zwei Seiten und dem „UND“ dazwischen. Die Wahl von „Null“ „und“ „Eins“ oder eben von „Nein“ „und“ „Ja“, wobei die beiden äußeren Zustände absolut festgelegt erscheinen. Aber was befindet sich dazwischen im „UND“? Ganz abgesehen davon, dass die beiden äußeren Zustände ebenfalls beliebig „gefüllt“ werden können, doch immerhin noch einer Absicht folgend, liegt dazwischen tatsächlich NICHTS, ein Spalt, eine chaotisch füllbare bzw. sich füllende Leere. Sich füllend mit unseren finsteren, unausgesprochenen Abgründen? Vielleicht auch eine Leere, die sich mit den vorherrschenden, gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, -erfordernissen und alltäglichen Geschehnissen füllt.

Es heißt, in vorchristlichen Zeiten glaubten unsere ureuropäischen Ahnen, es öffne sich während des Niesens ein Spalt in die unsichtbare, jenseitige Welt. Doch damit keine ungebetenen Gäste als böse Geister hereinschlüpfen und die Menschen vielleicht krank machen, wurde etwas Schönes, Gutes gewünscht. Die heute noch anzutreffende Gewohnheit „Wohlsein“ beim Niesen zu wünschen, rührt offenbar noch von daher. 
Aber wer wünscht sich schon etwas Gutes, wenn er mit digitalen Techniken zu tun hat, sich frohen Mutes vor einer digitalen Spaltmaschine setzt? Was inzwischen sogar als sinnlos, lächerlich und damit unmöglich erscheint, weil wir allumfassend darin eingebettet (worden) sind, sie als naehzu natürlich empfinden.
Es ist unter anderem bekannt geworden, dass wir beim Hören von analoger Musik (z. B. der von einer mechanisch abgespielten Langspielplatte) erholsamerweise bedeutend weniger Energie in unserem Gehirn benötigen als wenn wir digital konservierte Musik hören. Offenbar hat unser Nervensystem anstrengend damit zu tun, den digitalen Spalt zwischen „Null“ und „Eins“ irgendwie zu deuten bzw. zu füllen, damit wir ein durchgängiges Klangerlebnis erleben können. Oder vielleicht ist unser Gehirn auch mit Abwehr beschäftigt oder damit, uns nicht in diese grauenvolle digitale Leere stürzen zu lassen?

Aus Unkenntnis vielleicht, oder auch aus dieser ekelhaften Überheblichkeit des „modern aufgeklärten“ Menschen heraus, unsere Ahnen und alle anderen nichtwissenschaftlichen Kulturen seien ein bisschen meschugge gewesen, findet sich bei ihm keine Vorstellung mehr, wie sehr sich die absichtslose Auslieferung an natürliche, gesellschaftliche, spirituelle und nun auch digitale Kräfte gerade auf diesen Menschendarsteller auswirken kann. Blind dafür, stürzt er haltlos in diesen Spalt und freut sich noch, wie zügig er voran kommt!
Indigene Schamanen gingen kurz gefasst davon aus, dass Menschen, die sich ohne Absicht in solche Spalts begeben, auf Grund unendlich vieler Möglichkeiten und Kräften (die sich darin tummeln), wahrscheinlich verrückt werden. Mit Absicht bieten die Möglichkeiten Chancen, ohne, den Wahnsinn. Ein Blick in die jetzige Gesellschaft bestätigt diese Ansicht erstaunlich klar. Oder ist es nicht verrückt, dass Menschen vor Wasserwerken verdursten, nur weil sie das Wasser nicht bezahlen können? Unzählige solche Verrücktheiten lassen sich finden; jeder kennt sie. Ob er sie sehen will, ist etwas anderes.
Sich mit Absicht dieser undefinierten Mitte, diesem Übergangsbereich zuzuwenden, böte aber auch die Chancen, des Widerstandes, der Verweigerung und damit von neuen Möglichkeiten unsere menschliche Gesellschaftlichkeit zu gestalten. Nebenbei bemerkt, war es bei weitem keine zwangsläufige Entwicklung, dass sich digitale Computer durchsetzten. Sie erforderten eine entsprechend digital (schwarz-weiß) denkende Menschheit, wie sie mit dem aufklärerischen Ausschließlichkeitsanspruch gesamtgesellschaftlich durchgesetzt wurde und jetzt als normal gelebt wird. Nahezu vergessen, dass es auch Entwicklungen analoger Computer gab, die ssichtbare, spaltfreie Übergangsbereiche aufwiesen. Ebenso vergessen, dass die digitale Computertechnik von weltmachtbesessenen Eliten hauptsächlich militärisch vorangetrieben wurde, wofür der deutsche Nationalsozialismus ebenso steht, wie das us-amerikanische Silicon Valley.
Inzwischen verstärken sich gesellschaftliche Denk- und Gefühlsstrukturen mit den aus ihnen hervorgegangenen technischen Lösungen, wie es die digitale Computertechnik darstellt, gegenseitig. Das führt zu einer exponenziell zunehmenden digitalen (schwarz-weißen) Ausschließlichkeitsdenkweise. Im „ENTWEDER-ODER-MODUS“ wird nun gelebt! Die „SOWOHL“, „ALS AUCH“ und das „UND“ gehen zunehmend verloren. Entweder du bist für mich oder gegen mich. Wer versucht, für den Anderen Verständnis aufzubringen, abzuwägen, gar das Andere als Bereicherung wahrzunehmen, wird augenblicklich als Gegner, Dummkopf oder Träumer aufgefasst und verschrien. So dumm dieser Auschließlichkeitsanspruch auch sein mag, er ist Alltag und wird sogar als Naturgesetz der Polarität für unabänderlich zurechtgeschrien.
Erstaunlich ehrlich, wahrscheinlich ohne sich dessen bewusst zu sein, erklärt beispielsweise die mächtigste Funktionsträgerin Deutschlands ihre eigene Politik als „alternativlos“. Selbst dann, wenn sie mal wieder ihren Standpunkt um 180 Grad dreht. Aber alternativlose Politik ist digitale Politik.  Darin haben weder Zwischentöne Platz, noch Herz und Mitgefühl. Man kann auch sagen, Digitalismus ist eine faschistoide Lebensform mit bunter, vielfältig vorgegaukelter Oberfläche, weil beide nicht nur nichts anderes neben sich dulden, sondern intensiv alles Andere vernichten. Eine andere Lebensweise darf nicht mehr sein … leider auch aus verinnerlichten Selbstverständnissen heraus, wie überall die digital gefesselten Menschen beweisen. Politisch heißt das dann Digitale Wirtschaft 4.0, der die Digitale Lebensweise 4.0 auf dem Fuße folgen soll. Dass wir digital gar nicht leben können, wird ausgeblendet. Die aus zwei Zahlen erschaffenen bunten Bildschirmbilder gelten als realer als die Wirklichkeit. Sinnlichkeit als hoffnungslos zurückgeblieben.
Vielleicht ergeben sich aus dem Sturz in digitale Spalts auch die neuen Süchte, wie die der Computerspiele, der Internetbrowserei oder des Internetsexes, der zunehmend vielen Männern gegenüber körperlichen anwesenden Frauen die Potenz raubt. In die trockne, digitale Spalte gefallen!
Diese Digitalisierung des Wahnsinns, die Welt in nur zwei Seiten zu begreifen, darstellen und formen zu wollen, erfasst selbstverständlich alle Bereiche der gegenwärtigen Daseinsweise, auch hinsichtlich Drohungen betreffs Krieg und Frieden („willst Du nicht wie ich das will, dann zerbombe ich Dich“), siehe Drohungen in der Medizin („willst Du keine Chemo, fliegst Du aus der Kasse“) usw.
Sünde, der religiöse Begriff, der Ausdrückt „von Gott getrennt zu sein“, kommt wohl von Sund. Und Sund ist nichts weiter als ein Abgrund, in dem der sündige Mensch gestürzt sei, fallen könne bzw. der ihn von Gott trennt. Wie weise unsere Ahnen und wie dumm von uns, Sünde nur noch im religiöse Sinne von Schuld, wenn überhaupt begreifen zu können, anstatt als sinnbildliche Beschreibung der Entfremdung von unseren natürlichen und sozial-menschlichen Grundlagen. Wenn wir in den Spalt gehen, dann mit Absicht und nicht blindlings fallend, um die darin vorhandenen Möglichkeiten schöpferisch zu gebrauchen, anstatt uns von ihnen chaotisch missbrauchen zu lassen. Also zu begreifen, dass wir die Schöpfer unserer Gesellschaftlichkeit zu sein haben, anstatt uns unseren Geschöpfen willenlos auszuliefern.

Wird uns das bei all der Selbstverständlichkeit, verständnislos digitaler Alltagsidiotie überhaupt noch gelingen?

Hendrik©Heidler 

geschrieben am Scheibenberg, im Juli 2017 und überarbeitet im März 2018 

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